Kein Tag vergeht, an dem wir nicht mit Meldungen zum Coronavirus versorgt werden. Vieles dreht sich um Verhaltensregeln, die Ausbreitung und Fake-News zur neuartigen Krankheit.

Mich interessiert aber eine ganz andere Seite bei dem Thema und zwar die psychosozialen Auswirkungen auf Kinder. Deswegen habe ich mit der Lüneburger Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Katrin Kemper über die möglichen Auswirkungen und Belastungen durch den gesellschaftlichen Corona-Ausnahmezustand gesprochen.

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Wie erkläre ich meinem (Klein-)Kind am besten, was der Coronavirus ist?

Man geht davon aus, dass man es Kindern unter 3 Jahren noch gar nicht richtig erklären kann. Hier kann man relativ einfach und kindgerecht sagen: Der Kindergarten ist jetzt geschlossen. Es braucht in diesem Alter keine großen Erklärungen.

Zwischen 3 und 6 Jahren kann man das kindgerecht erläutern, je nachdem, wie das Kind damit bisher in Berührung gekommen ist. Wenn zum Beispiel jemand hustet oder niesen muss, könnte man erklären “Das ist manchmal feucht, das merkst du ja auch. Das sind kleine Tröpfchen, die andere Leute krank machen können. Deswegen müssen wir jetzt zu Hause bleiben.”

Also kein Angstszenario schaffen, sondern sachlich erläutern.

Genau. Kindergärten und Schulen werden ja auch hauptsächlich deswegen geschlossen, um die Ansteckungsverbreitung zu minimieren. Kinder sind eigentlich keine Risikogruppe, selbst wenn sie die Corona-Erkrankung bekommen.

Im Moment geht man davon aus, dass 70% der Bevölkerung daran erkranken bzw. bereits erkrankt sind. Für die allermeisten verläuft diese Erkrankung glücklicherweise unspektakulär.

Anders verhält es sich bei älteren Menschen mit Vorerkrankungen. Deswegen soll man auch den Kontakt zu den Großeltern meiden, weil sie zur Risikogruppe gehören. Das kann für Alleinerziehende problematisch sein.

Alleine mit Kind ist man oft auf die Mithilfe anderer angewiesen. Wenn diese Unterstützung wegfällt, man parallel arbeiten muss und dadurch zusätzlich unter Druck gerät, wirkt sich das auch aufs Kind aus. Wie kann man seinem Kind helfen, dass es durch den eigenen Stress und die eigene Verunsicherung nicht so stark belastet wird?

Eigentlich ist es eine Situation, die man durchaus kennt. Als Alleinerziehender ist man alleine fürs Kind verantwortlich – es kommt natürlich auch darauf an, wie sehr der zweite Elternteil des Kindes sonst unterstützt.

Wenn ich selbst krank werde oder das Kind krank ist und ich eigentlich arbeiten muss, ist das eine Situation, die man vielleicht auch aus anderen Umständen kennt. Von daher geht es darum, so besonnen und so ruhig wie möglich mit der Situation umzugehen. Je vernünftiger und ruhiger ich damit umgehen kann, desto besser ist das für mein Kind. Das überträgt sich.

Natürlich kann ich auch bereits einem kleineren Kind sagen: “Im Moment müssen wir vorsichtig sein, wir wollen niemanden anstecken und selbst auch nicht krank werden. Deswegen ist die Situation jetzt so.”

Viele Arbeitgeber reagieren auch bereits darauf, dass die Kinder nicht betreut sind und Arbeitnehmer*innen zu Hause bleiben und dort Homeoffice machen.

Ich glaube, wenn Ihr Kind aus dem Kindergarten plötzlich Läuse mitbringt, ist die Situation nicht wirklich anders. Sie müssen dann auch mit Ihrem Kind zu Hause bleiben und ihm erklären, wie es läuft.

Allerdings lässt sich das zeitlich besser eingrenzen. Wenn ein Kind Läuse hat, wissen die Eltern, dass es innerhalb von wenigen Tagen ausgestanden ist. Aber ob die Schulen und Kitas wirklich nur für vier Wochen geschlossen bleiben, wie das aktuell in vielen Bundesländern der Fall ist, ist noch nicht einzuschätzen. Was Eltern sicherlich verunsichert ist die Ungewissheit.

Das gilt momentan für uns alle. Jeder muss im Moment für sich selber abwägen, welches Risiko kann ich tragen und wo verhalte ich mich vernünftig?

Ich habe meine Praxis derzeit zum Beispiel geöffnet, weil ich für meine Patient*innen weiterhin ansprechbar sein und bleiben möchte. Deswegen versuche ich, deutlich weniger im sozialen Gemenge zu sein, damit ich selber nicht krank werde. Sonst müsste ich meine Praxis schließen.

Diese soziale Verantwortung ist etwas, das für uns alle gleichermaßen gilt.

Wobei ich sehr gut verstehe, wenn ich alleinerziehend bin, finanziell knapp dastehe und keine Unterstützung habe, dass es diese Umstände schwieriger machen. Deswegen ist es in solchen Fällen sicherlich wichtig, sich zumindest übers Handy, über WhatsApp oder über die sozialen Medien auszutauschen und dadurch mit anderen im Kontakt zu sein.

Gibt es Kinder, die mit einer sozialen Isolation besser umgehen können als andere?

Da ist jedes Kind völlig verschieden. Es gibt Kinder, die sind sehr bewegungsfreudig und für diese ist es in der aktuellen Situation etwas schwieriger, zu Hause zu sein, besonders wenn man eine kleine Wohnung hat.

Wenn ich aber nicht vom Gesundheitsamt aus in Isolation bleiben muss, sondern einfach nur vorsichtig sein soll, kann ich mit meinem Kind in den Garten, in den Wald oder in den Park gehen oder eine kleine Runde mit dem Fahrrad drehen und so Bewegung schaffen.

Es gibt aber auch Kinder, die gerne drinnen spielen oder etwas vorgelesen bekommen. Für die kann man es dort angenehm und gut im eigenen zu Hause gestalten.

Nun gibt es Familien, die in ihrem Urlaub von der Situation überrascht wurden und jetzt nicht in ihr Heimatland einreisen dürfen.

Das stelle ich mir schwieriger vor und zeigt auch, dass man in der momentanen Situation lieber aufs Reisen verzichten sollte. Ich verstehe sehr gut, wenn man schon länger eine Reise gebucht und sich darauf gefreut hat. Aber zurzeit wäre es etwas leichtsinnig, eine Reise anzutreten.

Das ist eine ganz besonders schwierige Situation, weil man das gewohnte Umfeld nicht hat und sehr auf die eigene Kreativität angewiesen ist. In solchen Fällen kann man sich vielleicht Unterstützung aus dem Hotel holen, in dem man gerade bleiben muss.

Die Frage ist auch, ob man im Falle einer Nicht-Erkrankung die ganze Zeit im Hotelzimmer bleiben muss. Vielleicht reicht es auch aus, zwei Mal am Tag Fieber zu messen und, wenn keine Symptome auftreten, auch mal rauszugehen.

Damit man selber keinen Lagerkoller bekommt, sollte man Kontakt zu Freund*innen halten.

Das ist ohnehin hilfreich, damit man sich nicht sozial isoliert fühlt, unabhängig davon, ob man alleinstehend bzw. alleinerziehend ist oder in einer Partnerschaft lebt.

Genau.

Im Johanneum gibt es einen am Coronavirus erkrankten Lehrer und über 1.000 Schüler*innen sind in häuslicher Quarantäne. Die dürfen weder raus, noch Besuch empfangen. Sie sollen nacheinander essen und zwei Mal am Tag Fieber messen. Diese soziale Isolation gilt also im Moment für alle.

Einerseits geht es bei den Maßnahmen darum, das diszipliniert einzuhalten, auf der anderen Seite trotzdem die Ruhe zu bewahren und sich auf alte Dinge zu besinnen. Einfache Dinge, wie “Welche Kinderlieder kenne ich noch von früher, die ich mit meinem Kind singen kann?” “Welche Fingerspiele kenne ich noch?” “Wie können wir aus einfachen Dingen Schiffchen falten und damit Hohe See spielen?”

Sich anregen lassen durch die Isolation.

Wer weiß, was im Nachhinein Positives für uns alle dabei herauskommt?! Sich wieder auf einfache Dinge zu besinnen.

Vielleicht kommen Sie mit anderen ins Gespräch, erfahren etwas über Ihre Nachbarn, wissen, wem und wo Sie vielleicht helfen oder selbst Hilfe bekommen könnten, wenn es erforderlich ist.

Es können ganz andere soziale Bezüge entstehen, die über Corona hinaus Bestand haben.

Man kann untereinander gucken und Solidarität schaffen: Gibt es ältere Leute, für die ich etwas mit einkaufen kann, damit sie nicht in Gefahr geraten?! Dafür passen sie vielleicht auch mal auf mein Kind auf, wenn die Corona-Gefahr vorbei ist.

Es gibt Kinder, die in Notbetreuungsgruppen kommen, weil ihre Eltern gebraucht werden. Wenn ein Kind kurzfristig in eine völlig neue Gruppe kommt, es aber keine Zeit zur Eingewöhnung gibt, was muss man beachten, damit es diesen Kindern gut geht?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Es gibt Kinder, die vertragen bereits eine Kinderbetreuung ab einem Jahr sehr gut und profitieren auch davon, andere hingegen vertragen es einfach nicht gut.

Hier muss man abwägen. Anfangs mag es ungewohnt für die Beteiligten sein. Aber es kommt auch darauf an, wie ich als Elternteil dem Kind etwas vermittle: Ob ich furchtbare Angst habe, dass mein Kind dort nicht zurechtkommt oder ob ich glaube, wir bekommen das schon zusammen gut hin.

In einer Situation, in der ein Kind überwiegend mit einem Elternteil zusammen ist, ist die Interaktion durch das Duale viel intensiver ausgeprägt. Die Kinder bekommen dann sehr viel mehr davon mit, was gerade bei der Mama oder dem Papa los ist – je nachdem, wer sich hauptsächlich ums Kind kümmert. Auch ich als verantwortlicher Elternteil achte viel mehr darauf, was bei meinem Kind gerade los ist. Das ist eine Wechselwirkung, eine Spiegelwirkung.

Je nachdem wie meine persönliche Situation ist, rücke ich, wenn ich mich sehr sorge, vielleicht ganz eng mit meinem Kind zusammen. Dann ist es für uns beide sicher. Oder es passiert genau andersherum.

Hier sind wir Eltern am allermeisten gefragt, sehr gut abzuwägen zwischen Nachlässigkeit und zu viel Sorge. Es wäre schön, einen guten Mittelweg zu finden. Das ist aber natürlich auch davon abhängig, wie sehr ich mich selber z.B. vor Krankheiten fürchte.

Ist ein Elternteil beispielsweise besonders ängstlich bei Krankheiten, bedarf es sicherlich für das Kind mehr Erklärungen, als wenn das Kind das Gefühl hat “Mama und ich machen das schon. Wir müssen etwas mehr die Hände waschen und darauf achten, nicht jede Türklinke anzufassen”.

Gerade bei kleineren Kindern kann man auch versuchen, ein Spiel daraus zu machen. Man könnte spielerisch gemeinsam  neue Möglichkeiten fürs Verhalten überlegen.

  • Wie können wir uns begrüßen, wenn wir uns nicht die Hand geben sollen?
  • Wie begrüßen sich andere Völker und was finden wir lustig, z.B. mit den Hintern aneinanderwackeln.
  • Wie können wir die Tür aufmachen, ohne dass wir mit unseren Fingern drankommen?

Man kann versuchen, das spielerisch-kreativ aufzunehmen, gerade bei den Kleineren.

(Letztes Update 16. November 2021)

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