In der Schweiz gibt es seit jeher hohe Standards, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Doch manchmal führen Entscheidungen der Behörden zu schmerzhaften und unvorhersehbaren Konsequenzen für die betroffenen Familien.
Im Kanton Waadt hat der Fall von Bénédicte (Name geändert) im Jahr 2023 große Wellen geschlagen. Das kleine Mädchen kam durch einen Notkaiserschnitt zur Welt, wurde jedoch kurz nach der Geburt von den Behörden in einem Heim untergebracht, um sie zu schützen. Diese Entscheidung wird von der Mutter und verschiedenen Experten stark in Frage gestellt.
Hintergrund des Falls
Bénédicte wurde am 30. Mai 2023 im Universitätsspital Lausanne geboren. Ihre Mutter, die mithilfe einer Samenspende aus Dänemark schwanger wurde, war 39 Jahre alt und litt an einer Präeklampsie, die eine Notoperation erforderlich machte. Zunächst schien alles gut zu verlaufen: Bénédicte wog 2,2 kg, wurde gestillt und benötigte keine Sauerstoffzufuhr. Doch vier Tage nach der Geburt kam die Mutter auf die Intensivstation, was den Beginn einer tragischen Geschichte markierte.
In den folgenden Tagen kam es zu einem dramatischen Vorfall: Eine Meldung des Personals im Krankenhaus führte dazu, dass die Waadtländer Kinder- und Jugendhilfe die Mutter von der Entscheidung, wo Bénédicte leben sollte, entband und sie in ein Heim unterbrachte. Am 5. Juni 2023 genehmigte ein Richter die Entscheidung, ohne die Mutter oder das Kind zu sehen.
Entwicklung des Falls
Bénédicte entwickelte schnell gesundheitliche Probleme. Die Ärzte diagnostizierten bei ihr eine Entwicklungsverzögerung, die auch ihre motorischen Fähigkeiten betraf. Ihre Tante berichtet von einer gefährlichen Verletzung, die das Kind im Heim erlitt. Ein Experte stellte fest, dass das Umfeld im Heim negative Auswirkungen auf die Entwicklung der kleinen Bénédicte habe, und dass sie in ihrer sozialen Interaktion untypisches Verhalten zeige.
Öffentliche Aufmerksamkeit bekam der Fall durch eine Petition, die von über 700 Menschen unterzeichnet wurde, darunter zahlreiche Experten und ehemalige Politiker, die sich für eine Rückkehr von Bénédicte zu ihrer Mutter aussprachen. Der Fall erregte Empörung in der Schweizer Öffentlichkeit und wurde zum Politikum.
Systematische Herausforderungen
Die Mutter von Bénédicte beschreibt die Situation als Albtraum und kritisiert die Vorgehensweise der Behörden. Sie schildert, dass ihr der Kontakt zu ihrem Kind stark eingeschränkt wurde, was das Verständnis und die Bindung zwischen Mutter und Kind stark belastete. Zu Beginn durfte sie Bénédicte nur einmal pro Woche für eine Stunde unter Aufsicht sehen. Diese Einschränkungen wurden durch einen Personalmangel im Heim begründet.
Die Mutter sieht in den Vorwürfen, sie sei nicht in der Lage, sich angemessen um ihr Kind zu kümmern, eine unrechtmäßige Beurteilung ihrer Fähigkeiten, da sie sich zu diesem Zeitpunkt in einer vulnerablen gesundheitlichen Verfassung befand. Ihre Angehörigen berichten von einem Mangel an Unterstützung seitens des Krankenhauspersonals und der Behörden. Das führte dazu, dass ein Bericht erstellt wurde, der letztendlich zur Trennung von Mutter und Kind führte.
Aktuelle Entwicklungen
Obwohl die Behörden weiterhin versichern, dass es Bénédicte gut gehe, zeigen die Ärzte Besorgnis über ihre Entwicklungsverzögerung und die Folgen der Trennung. Der Fall wird nun vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geprüft, wobei die Mutter argumentiert, dass ihr Recht auf Familienleben verletzt wurde.
Zusätzlich zu den rechtlichen Schritten hat die Staatsanwaltschaft Waadt eine Untersuchung eingeleitet, um die Umstände des Heimeinsatzes und die Versorgung von Bénédicte zu klären. Der Vorfall, bei dem das Kind in einem kritischen Zustand aufgefunden wurde, verstärkt die Sorgen über die Sicherheit und das Wohl des Kindes im Heim.
Fazit
Der Fall von Bénédicte verdeutlicht die komplexen Herausforderungen, die im Bereich des Kinderschutzes und der Trennung von Familien auftreten können. Die verschiedenen Akteure im medizinischen, sozialen und rechtlichen Bereich müssen besser zusammenarbeiten, um das Wohl des Kindes zu sichern, ohne die Rechte der Eltern zu verletzen. Der Fall ist ein eindringlicher Appell für Reformen im System der Kinderschutzbehörden, um sicherzustellen, dass das Wohl des Kindes in Einklang mit den Rechten der Eltern berücksichtigt wird.
Ich verfolge die Entwicklungen weiterhin aufmerksam. Denn der Ausgang des Verfahrens könnte weitreichende Auswirkungen auf ähnliche Fälle in der Zukunft haben.
Chronologie des Falls Bénédicte
- 30. Mai 2023: Bénédicte wird durch eine Notfall-Césarienne im Universitätsspital Lausanne geboren. Ihre Mutter leidet an einer Präeklampsie während der Schwangerschaft.
- 4 Tage nach der Geburt: Die Mutter wird wegen Komplikationen aufgrund von Bluthochdruck auf die Intensivstation verlegt. Sie bestreitet die Version, dass sie Medikamente abgelehnt hat.
- 2. Juni 2023: Ein Bericht des CAN-Teams (Team für Kindesmissbrauch und -vernachlässigung) wird erstellt, in dem das Verhalten des Klinikpersonals gegenüber der Mutter kritisiert wird. Infolge dieses Berichts entzieht die waadter Kinder- und Jugendbehörde (KESB) der Mutter das Recht, den Wohnort von Bénédicte festzulegen.
- 5. Juni 2023: Eine Richterin genehmigt provisorisch den Entzug des Sorgerechts, ohne Mutter und Kind persönlich zu sehen. Bénédicte bleibt zunächst eine Woche in der Neugeborenenstation, bevor sie in in das Lausanner Kinderheim l’Abri verlegt wird.
- 7. Juni 2023: Die Mutter verlässt die Intensivstation, hat jedoch nur eingeschränkten Kontakt zu Bénédicte.
- April 2024: Bénédicte wird mit einem Entwicklungsrückstand diagnostiziert, der auch ihre Motorik betrifft.
- 22. Juni 2023: Ein Vorfall im Heim führt dazu, dass Bénédicte, 10 Tage nach ihrer Einweisung, von einer Betreuerin leblos aufgefunden wird. Sie wird umgehend ins Krankenhaus gebracht, wo sie fast einen Monat bleibt.
- Ende Februar 2024: Der Bundesgerichtshof unterstützt die Entscheidung, Bénédicte im Heim zu belassen, erlaubt jedoch der Mutter, sie mehrmals pro Woche unter Aufsicht zu besuchen.
- 24. August 2024: Die Mutter von Bénédicte besucht mit ihrem Kind einen Kinderarzt in Freiburg, ohne Bénédicte rechtzeitig ins Heim zurückzubringen. Die Familie benachrichtigt die Direktion für Kindes- und Jugendhilfe (DGEJ) über diese Situation.
- 27. August 2024: Die Mutter wird am Bahnhof Zürich von der Polizei festgenommen. Sie ist in Begleitung ihrer Mutter, Schwester und Nichte. Bei den Besuchen der Familie wurden Hämatome und Verletzungen an den intimen Körperstellen des Kindes festgestellt. Die Mutter hat einen Antrag auf einen Wechsel des Heims gestellt, der von der Justiz abgelehnt wurde. Es war eine gründliche Untersuchung für Oktober geplant.
- 28. August 2024: Die Mutter wird nach einer Nacht im Polizeigewahrsam vernommen und später am selben Tag wieder freigelassen.
- Nach dem Vorfall: Die Mutter erfährt durch einen Brief, dass Bénédicte in ein Heim in Yverdon verlegt wurde. Ihr Besuchsrecht wird auf zwei Besuche pro Woche beschränkt. Bis zu diesem Vorfall konnte sie ihre Tochter nur einmal pro Woche für eine Stunde sehen und zudem am Samstag und Sonntag mit ihr Zeit verbringen.
- 2024 (Früher): Die Familie erhebt Vorwürfe gegen den Staat Waadt wegen des mutmaßlich missbräuchlichen Platzierungsprozesses und reicht eine Klage gegen die Behörden ein. Die DGEJ weist die Anschuldigungen zurück und bezeichnet die Vorwürfe sexueller Übergriffe als unbegründet und diffamierend.
- Aktuelle Stellungnahme der DGEJ: Die Behörde erklärt, dass die Familie nicht von sich aus die DGEJ kontaktiert hat, sondern dass der Kontakt von dem Heim und anschließend von der Polizei sowie der Friedensrichterin initiiert wurde, die der Mutter anordnete, das Kind zurückzubringen, was sie nicht tat. Zudem wird betont, dass die Entscheidung, das Kind in ein anderes Heim zu verlegen, eine langfristige Planung war, da das ursprüngliche Heim ein Notunterkunft war.
(Letztes Update 10. Oktober 2024)